Der internationale Kampf gegen Straflosigkeit

In zahlreichen Ländern wird seit der Verhaftung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet in London 1998 mit großem Einsatz für eine juristische Aufarbeitung der in der Epoche der Militärdiktaturen begangenen Menschenrechtsverbrechen gestritten. Dabei wird von Menschenrechtsorganisationen und Anwaltsvereinigungen ebenso wie von breiten Teilen der Öffentlichkeit mit großem Trickreichtum, einem hohen Maß an Akribie und einem langen Atem versucht, die Schicksale von Opfern aufzuklären, Überlebende zu rehabilitieren und die Täter ihrer verdienten Strafe zuzuführen.

Zeitgleich wurde international um die Einführung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit gestritten und schließlich konnte – gegen den massiven Widerstand der USA – der internationale Strafgerichtshof in Den Haag seine Arbeit aufnehmen.
Seit den Prozessen von Nürnberg hat die überstaatliche Rechtssprechung eine Bedeutung im völkerrechtlichen Diskurs erhalten, der jedoch während des Kalten Krieges zunächst weitgehend verebbte. Nach erfolgreichen Prozessen gegen Menschenrechtsverbrechen vor staatlichen Gerichten, wie zum Beispiel in Griechenland nach 1976, umstrittenen Wahrheitskommissionen wie im Südafrika der 90er Jahre und zunächst gescheiterten Versuchen in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern, erlangte die internationale Gerichtsbarkeit mit dem Ruanda-Tribunal und dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag erneut völkerrechtliche Bedeutung und öffentliche Aufmerksamkeit.

Zitate

Meine Angst von dem Vergessen ist größer als die Angst zu viel zu erinnern.
Ein spanisches Sprichwort besagt: Wahrheit ist wie Öl, am Ende schwimmt sie oben. Selbst wenn das stimmt, bleibt die Frage, was man mit der Wahrheit macht, wenn sie oben ist.
Dieses Land ist besessen von General Pinochet. […] Ein Land, in dem das Leben nicht weitergehen kann, bis das Leben, das hier zerstört wurde, zu seinem Recht kommt. […] Es ist an der Zeit, diese Situation zu verändern, diese heuchlerische Versöhnung, die verlangt, dass auf der einen Seite die Opfer das ihnen zugefügte Leid vergessen sollen, ohne dass verlangt wird, dass auf der anderen Seite die privilegierten und verbrecherischen Chilenen, die ihren Mitbürgern dieses Leid zugefügt haben, je um Verzeihung bitten müssen.
Unser Land will Schluss damit machen, ein Reservat der Straflosigkeit zu sein, [...] Alle, die wir heute hier sind, teilen die Hoffnung, dass es eher früher als später die Erinnerung geben wird, dass es Gerechtigkeit geben wird, denn die Geschichte lehrt uns, dass die Erinnerung alle ihre Gefangennahmen überlebt und dass die Gerechtigkeit stärker sein kann als alle Angst, wenn die Menschen sie unterstützen.

Der Versuch der gerichtlichen Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen birgt verschiedene Ansätze der Aufarbeitung der Vergangenheit:

Im rein strafrechtlichen Sinn geht es bei der gerichtlichen Verurteilung von Tätern schlichtweg um den Aspekt der Gerechtigkeit, die Menschenrechtsverbrecher wie Folterer, Auftragskiller und die politisch Verantwortlichen, sowie Kriegsverbrecher ihrer rechtsstaatlichen Strafe zuführt.
Im historischen Sinn dient die juristische Verurteilung des Verbrechens einer Neudefinition des moralischen Koordinatensystems der betroffenen Gesellschaften. Oftmals jahrzehntelang zur Bedrohung umgelogene Opfer erlangen in der öffentlichen Wahrnehmung ihren Status als Verfolgte zurück. Und Regierende, Militärs und Polizei– über den gleichen Zeitraum Träger öffentlicher Definitionsgewalt – werden in der prozessbegleitenden öffentlichen Debatte auf ihre Rolle als Verbrecher zurückgeworfen.
Nur zu oft entbehren Opfer politischer Gewalt materieller Fürsorge für die Zeit ihrer Inhaftierung, fallen durch soziale Sicherungssysteme und stehen bis heute unter Berufsverbot oder unter dem Entzug bürgerlicher und politischer Rechte. Von Entschädigungsleistungen für das erlittene Unrecht oder materieller Würdigung widerständiger Aktivitäten ist keine Rede. Die juristische Rehabilitierung kann zur materiellen Verbesserung der Lebenssituation von Überlebenden staatlicher Gewalt beitragen.
Menschenrechtsorganisationen haben oft beklagt, dass die Straffreiheit von Tätern dazu beiträgt, Menschenrechtsverbrechen ungehemmter begehen zu können. Dabei stützen sie sich auf Erfahrungen aus der alltäglichen Menschenrechtsarbeit ebenso wie auf sozialpsychologische Studien (zum Beispiel Milgram-Experiment, Gefängnisexperiment), die belegen, dass das Ablegen von Verantwortung für die Straftat die Bereitschaft zu deren Begehung fördert. Die juristische Verurteilung von Tätern wirkt dem entgegen und stellt einen wesentlichen Schritt der präventiven Menschenrechtsarbeit dar.
Opfer von Folter leiden vor allem unter der Ohnmacht, die sie während der Verhöre und in der Haft in extremster Weise durchstehen mussten. Der komplette Kontrollverlust in der Foltersituation selbst verlängert sich jedoch über die Haft hinaus in den Alltag, der keinen Platz für eine Wiedererlangung eigener Steuerungsmechanismen und Eingriffsmöglichkeiten bietet, um diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die diese Verbrechen begangen haben. Die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V.hat hierzu in verschiedenen Texten Stellung bezogen. Neben individuellen Therapieansätzen haben gesellschaftliche Umbrüche mit nachfolgender Demokratisierung jedoch gezeigt, dass Gerechtigkeit heilt.

Gerechtigkeit heilt

Gerechtigkeit heilt ist eine Kampagne von der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum e.V.

Gerechtigkeit heilt

Nicht nur diejenigen, die sich unmittelbar als KlägerInnen oder ZeugInnen an Gerichtsverfahren beteiligten, sondern auch Überlebende, die medienvermittelt ihre ehemaligen Folterer später auf der Anklagebank wiedersahen, haben durch die Veränderung ihrer Position erstaunliche Genesungserfolge erfahren.

Hierbei spielen vor allem zwei Aspekte eine wesentliche Rolle:
Diejenigen, die sich selbst an Sammelklagen beteiligen, verlassen durch diesen Schritt die Opferrolle, in die sie das Erlittene gedrängt hat. Sie werden initiativ, übernehmen erneut Verantwortung bei der Steuerung gesellschaftlicher Prozesse und wehren sich zeitversetzt gegen ihre Wehrlosigkeit in der durchlittenen Situation. Sie werden wieder zu handelnden Subjekten und können damit leichter die erlebten Ausnahmesituationen in die eigene Biografie integrieren.
Diejenigen, die sich nicht selbst an Prozessen beteiligen, profitieren indirekt von der Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die erfahrene eigene Rehabilitation und die rechtmäßige Kriminalisierung der Täter erleichtern ebenfalls die biografische Integration des Erlittenen.

Was hat die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V. mit einer Kampagne "Gerechtigkeit heilt" zu tun?

Die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V. hat sich seit ihrem Bestehen stets auch den gesellschaftlichen Dimensionen von Krankheit und Flucht gewidmet. Als sozialmedizinische Menschenrechtsorganisation stellte sie neben der unmittelbaren Behandlung von Flüchtlingen auch den vielschichtigen Komplex von fluchtbedingten Krankheitsursachen in den Kontext ihrer politischen Arbeit.

Traditionelle Behandlungsansätze verbleiben oftmals jedoch auf der individualtherapeutischen Ebene.

Die Kampagne "Gerechtigkeit heilt" bietet die Möglichkeit, auch den Begriff der Therapie in einem sozialmedizinischen Kontext zu etablieren. Sie verbindet Menschenrechtsarbeit mit Prävention und Therapie in eben jenem Feld, das in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung bei der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum e.V. gewonnen hat: bei der Therapie psychotraumatisierter PatientInnen.

 

Kontakt

Bianca Schmolze
Telefon: 0234-9041382
b.schmolze@gerechtigkeit-heilt.de

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