Foto-Credit: IRCT / Gerardo Arriaga
Die Staatsanwaltschaft und das Gericht in Istanbul ziehen das Verfahren gegen Şebnem Korur Fincancı, Vorsitzende der Türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV, und den Journalisten Erol Önderoğlu und Ahmet Nesin weiter in die Länge. Bereits der Prozessauftakt am 8. November 2016 hat nur eine Stunde gedauert und musste vertagt werden, weil der ebenfalls angeklagte İnan Kızılkaya, Chefredakteur der prokurdischen Tageszeitung Özgür Gündem, nicht aus dem Gefängnis zum Gericht gebracht wurde. Die zweite Sitzung am 11. Januar 2017 wurde bereits nach wenigen Minuten unterbrochen, weil Kızılkaya wieder nicht vor Gericht erscheinen konnte. Das Gericht hat entschieden, dass sein Verfahren abgetrennt wird und mit weiteren Anklagen, die gegen ihn vorliegen zusammengelegt wird. Das Verfahren gegen Fincancı, Önderoğlu und Nesin wird am 21. März 2017 fortgesetzt – am Tag des kurdischen Neujahrsfestes.
Eine Prognose über den weiteren Verlauf des Prozesses ist angesichts der von Willkür geprägten und politisch motivierten Anklagen nur schwer zu leisten. Eine wichtige Erkenntnis aus ähnlichen früheren Prozessen unter der AKP-Herrschaft ist, dass solche Prozesse nicht immer dazu dienen, die Angeklagten tatsächlich zu verurteilen und zu bestrafen, sondern bisweilen eher dazu genutzt werden, Oppositionelle und unliebsame Figuren zu zermürben und einzuschüchtern. So wurden bei der Prozesswelle ab 2009 gegen Linke und Kurden wegen angeblicher Verbindungen zur PKK eine ganze Reihe von Angeklagten zwar nicht verurteilt, aber immer wieder zu Gerichtsverhandlungen vorgeladen, festgenommen, ihre Wohnungen und Arbeitsplätze durchsucht – so dass sie ihre Jobs verloren haben und mittellos dastanden. Gerade bei solchen Anklagen wie etwa gegen Fincancı, Önderoğlu und Nesin, bei denen die Absurdität des Vorwurfs der „Propaganda für eine terroristische Organisation“ offensichtlich ist, kann davon ausgegangen werden, dass hier die Staatsanwaltschaft und die politisch beeinflussten RichterInnen nicht alleine auf eine mehrjährige Verurteilung setzen. Vielmehr wird der Gerichtsprozess selbst zu einer repressiven und politisch motivierten Maßnahme gegen RegierungskritikerInnen.
Es laufen weitere Gerichtsprozesse gegen andere TeilnehmerInnen der Solidaritätsaktion für die prokurdische Tageszeitung Özgür Gündem, die wir aus der Ferne als MFH ebenfalls beobachten. Über den Ablauf der anderen Prozesse wird möglicherweise erkennbar, wie das Verfahren gegen Fincancı, Önderoğlu und Nesin weitergehen könnte. Die MFH wird anlässlich des nächsten Prozesstermins am 21. März 2017 wieder berichten.