Immer
noch und wieder im Umbruch
Zwei neue Bücher über soziale Bewegungen und den Kampf gegen Straflosigkeit
in Lateinamerika von Thea Struchtemeier
[…]
An dem spezifischen Punkt der Ungleichheit und da, wo mangelndes Recht
und
nicht erfahrene Gerechtigkeit zu Ungerechtigkeit führen, setzt die
penible
Arbeit von Bianca Schmolze und Knut Rauchfuss an. An zahlreichen
Länderbeispielen führen sie vor, dass die globale Kultur einer
Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen nicht zu durchbrechen war.
Ihre Aufsatzsammlung zeigt exemplarisch, wie Betroffene von
Menschenrechtsverletzungen in jeweils zwölf Ländern, von denen
fünf aus
Lateinamerika sind (andere beziehen sich auf Afrika, Asien und das ehemalige
Jugoslawien), einfordern, dass die Täter juristisch zur Verantwortung
gezogen werden. Von diesen Kämpfen handelt dieses Buch.
Oft sei zu beobachten, so beklagen Herausgeber und Herausgeberin (die
die
meisten Beiträge selbst verfassten), dass die Verantwortlichen für
die
Verbrechen gegen die Menschlichkeit frei und häufig in gesicherten
gesellschaftlichen Positionen davonkamen. Aber es gab auch Erfolge, wie
im
Fall der Verhaftung des Ex-Diktators Pinochet.
In Chile tritt offen und trotz der demokratisch gewählten Präsidentin
zu
Tage, wie stark die alten Kräfte des Repressionsapparates weiter
sind.
Dies zeigt sich z.B. angesichts der brutalen Übergriffe chilenischer
Polizei
vor einem Jahr. Und paradoxerweise wird deutlich, wie nach dem offiziellen
Übergang zur repräsentativen Demokratie die Menschenrechtsbewegung
enorm
geschwächt wurde. Denn diese elementaren Rechte zu vertreten fiel
nun dem
Staat, der Regierung und den politischen Parteien zu, so dass die
Menschenrechtsbewegungen an gesellschaftlichem Einfluss verloren. In Chile
zeigt sich auch die Bandbreite der Ausdrucksformen sozialer Bewegungen,
die
sich in Trauerdemonstrationen bei Bestattungen exhumierter Folteropfer
bis
zu Hungerstreiks zur nachträglichen Durchsetzung von Ermittlungen
gegen
Pinochet und andere Verantwortliche für Folter und Mord artikulierten.
Bewusst haben Schmolze und Rauchfuss bei ihren Ausführungen, die
auf
teilnehmender Beobachtung, Interviews und Quellenstudium beruhen, zum
Zweck
der besseren Lesbarkeit auf Zitate und Literaturhinweise verzichtet. Beide
sind Mitglieder in der Bochumer Medizinischen Flüchtlingshilfe, die
eine
Kampagne unter dem Thema „Gerechtigkeit heilt“ führt.
Aus ihrer Erfahrung in
der Gesundheitsarbeit mit Flüchtlingen wissen sie, dass die Straflosigkeit
von Menschenrechtsverbrechen zu neuen Traumata führt.
Die gründlich und engagiert recherchierten Beiträge von Schmolze/Rauchfuss
sind eine vertiefende und beispielgebende Ergänzung zu ¿El
pueblo unido?,
ihre Schilderungen zu Paraguay und Guatemala differenzieren den Focus
auf
Lateinamerika zusätzlich und kritisch.
Aus: ila 328
http://www.ila-web.de/buchbesprechungen/buecher328.htm#El%20Pueblo%20Unido