Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum: Solidarität mit Osman Murat Ülke

 Juli 2007

BITTE UM PROTEST – BITTE
UM WEITERVERBREITING

Solidarität
mit Osman Murat Ülke

Entgegen dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
wird der Kriegsdienstverweigerer weiter strafrechtlich verfolgt

Osman Murat Ülke wurde in Pforzheim geboren und folgte mit 15 seinen
Eltern
in die Türkei.
Der heute 36-jährige hatte im September 1995 seine Kriegsdienstverweigerung
erklärt und die Einberufungspapiere öffentlich verbrannt: »Wir
wollten den
allgegenwärtigen Militarismus mit gewaltfreien Methoden des zivilen
Ungehorsams in Frage stellen.«

Auf Ülkes Verweigerung reagierten die Behörden mit einem schier
endlosen Prozeß- und Inhaftierungsmarathon. Zwei Jahre verbrachte
er zwischen 1996 und 1999 bereits in Haft.
Die droht ihm nun erneut, obgleich im Januar 2006 ein Urteil des Europäischen
Gerichtshofs
für Menschenrechte erging, in dem die Richter der türkischen
Militärjustiz
vorwarfen, »unvereinbar mit dem Strafrecht einer demokratischen
Gesellschaft«
zu agieren. Ülke sei zum Opfer »einer unendlichen Serie von
Verfolgung und
Bestrafung geworden, die seine Persönlichkeit unterdrücken und
ihn
entwürdigen« solle.
Dem Pazifisten wurde eine Entschädigung über 10.000 Euro zugesprochen.
Die hat er auch erhalten. Dennoch wurde Osman Murat Ülke im Juli
2007 erneut aufgefordert, eine Haftstrafe von 17 Monaten und 15 Tagen
anzutreten.

Hierzu Osman Murat Ülke selbst:
„Neben dem Appell an das Ministerkomitee des Europarates haben wir
auch hier in der Türkei Beschwerde eingelegt, aber noch keine Antwort
erhalten. Und wir versuchen, im Ausland so viel Druck wie möglich
zu erzeugen. Das heißt nicht einfach nur Öffentlichkeitsarbeit,
sondern auch auf der Ebene von Politikern, Abgeordneten, Ministerien.
Der Türkei muss gesagt werden, dass dieses Vorgehen sofort aufzuhören
hat, weil es eindeutig im Widerspruch zum Urteil des Europäischen
Gerichtshofs steht.“

Die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum arbeitet im Bereich der
länderübergreifenden Flüchtlingssozialarbeit seit einiger
Zeit eng mit Osman Murat Ülke zusammen.
Auch im Arbeitsfeld „Gerechtigkeit
heilt“ existiert eine enge Zusammenarbeit mit seiner Anwältin
Hülya Ücpinar.
Die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum bittet,
diese Informationen weiterzuverbreiten und sich an den Protestkampagnen
gegen die beabsichtigte erneute Inhaftierung von Osman Murat Ülke
zu beteiligen.

Vorformulierte Protest-E-Mails
können geschickt werden an:

* das Ministerkomitee des Europarats
über
http://www.Connection-eV.de/Tuerkei/uelke.html
oder
http://www.wri-irg.org/co/alerts/20070711a.html

* den Präsidenten der
Türkei über
http://www.Connection-eV.de/Tuerkei/uelke.html
und
http://wri-irg.org/co/alerts/20070711b.html

* Faxnummern und Postadressen
für Protestschreiben:

Präsidentschaftsamt der
Türkischen Republik:
Fax +90-312-4271330,
E-mail cumhurbaskanligi@tccb.gov.tr

Botschaft der Republik Türkei
(Deutschland) Herr Mehmet Ali Irtemçelik
Botschafter Rungestr. 9, 10179 Berlin
Tel: +49(30) 27 58 50
Fax : +49(30) 27 59 09 15
E-mail: turk.em.berlin@t-online.de



Weiterführende Informationen:

http://www.taz.de/index.php?id=digi-artikel&ressort=sw&dig=2007/07/20/a0040&menu=1
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=113396&IDC=2
http://www.jungewelt.de/2007/07-18/002.php
http://www.connection-ev.de/Tuerkei/uelke.html
http://www.ippnw.de/article/070719_uelke.html
http://www.dfg-vk.de
http://www.graswurzel.net/news/ossi2007.shtml

PRESSEERKLÄRUNG der Rechtsanwältin
Hülya Üçpinar

Izmir, den 12. Juli 2007

EIN
JUSTIZSKANDAL
Der Fall des Kriegsdienstverweigerers Osman Murat Ülke

Gegen den Kriegsdienstverweigerer
Osman Murat Ülke wurden mehrere
Strafverfahren eröffnet, da er sich weigerte, den Militärdienst
anzutreten.
Er wurde mehrmals zu Gefängnisstrafen verurteilt. Aufgrund dessen
wurde beim
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Klage gegen
die Türkei
eingereicht. Der EGMR verkündete in seinem Urteil, dass die Türkei
gegen das
in Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention geregelte Verbot
der
Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung
verstoßen und eine Rechtsverletzung verursacht hat.

Trotz des Urteils vom 24.01.2006
haben die zuständigen Regierungsvertreter
keinen Schritt unternommen, um die Beeinträchtigung von Osman Murat
Ülke zu
beheben. Im Gegenteil: Derzeit besteht die akute Gefahr seiner erneuten
Inhaftierung wegen der früheren Verurteilungen. Am 09.07.2007 wurde
eine
Vorladung der Staatsanwaltschaft Ayvalik zugestellt, wonach sich Osman
Murat
Ülke binnen 10 Tagen wegen einer noch zu verbüßenden Strafe
in Höhe von 17
Monaten und 15 Tagen bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zu melden
habe.
Andernfalls werde seine Festnahme angeordnet.

Als seine bevollmächtigte
Rechtsanwältin habe ich zu dieser Vorladung
Ermittlungen angestellt. Diese ergaben, dass die Vorladung aus den beim
Hauptquartier des Militärgerichtes Eskisehir vorliegenden Akten resultiert.
Die Strafe in Höhe von 17 Monaten und 15 Tagen ergäbe sich aus
der
Strafsumme verschiedener Urteile aus der Vergangenheit. Sie wird nicht
durch
die bereits von Osman Murat Ülke verbrachte Haftzeit verkürzt.

Mein Mandant wurde erstmalig
am 08.11.1996 festgenommen und in mehreren
Verfahren wegen „Entfremdung des Volkes vom Militär“, „Befehlsverweigerung“,
„Fortgesetzten Ungehorsams“ und „Desertion“ verurteilt,
weshalb er insgesamt
701 Tage im Militärgefängnis verbracht hat.

Obwohl er am 09.03.1999 entlassen
wurde, droht ihm seine erneute
Inhaftierung, da nach wie vor keine rechtliche Neugestaltung vorgenommen
wurde und die bisherige Handhabung der Kriegsdienstverweigerung weiter
anhält.

Die durch die Staatsanwaltschaft
Ayvalik zugestellte Vorladung zeigt ein
weiteres Mal den Ernst der akuten Bedrohung. Die Vorladung bestätigt
allerdings auch, dass die durch das EGMR verurteilte türkische Regierung
entgegen ihrer Zusicherungen ihrer Verpflichtung aus dem Urteil in keiner
Weise nachgekommen ist und daran festhält, in Widerspruch zu dieser
Verpflichtung zu verfahren.

Das Urteil des EGMR

Mein Mandant Osman Murat Ülke
wandte sich 1997 mit einer Klage wegen der
wiederholten Verurteilungen wegen ein und derselben Tat und wegen der
Verletzung seiner Gewissensfreiheit an den EGMR. Daraufhin hat der EGMR
mit
Urteil vom 05.01.2006 unter Zugrundelegung des Klageantrags und der darüber
hinaus vergangenen Zeit den Sachverhalt bewertet und ist zu dem am
24.01.2006 verkündeten Urteil gekommen. (Ülke v. Turkey, 39437/98
– Anlage
2)

Im Ergebnis kam der EGMR mit
dem am 24.04.2006 rechtskräftig gewordenen
Urteil zu dem Ergebnis, dass

– Osman Murat Ülke aufgrund
der mehrfachen Verurteilung und weiter drohenden Verurteilungen, die aus
seiner Gewissensentscheidung zur Kriegsdienstverweigerung resultieren,
einem „zivilen Tod“ ausgesetzt ist, was sein Leben im Gesamten
beeinträchtigt;

– diese Behandlung die
intellektuelle Persönlichkeit des Antragstellers unterdrückt,
um Gefühle von Angst, Schmerzen und Verwundbarkeit in ihm auszulösen,
ihn zu demütigen und zu entwürdigen und seinen Widerstand und
Willen zu brechen;

– die zahlreichen sich aus
seiner Überzeugung ergebenden Anklagen, die sich daraus ergebenden
summierenden Effekte der Verurteilungen und der ständige Wechsel
von Anklagen und Zeiten der Inhaftierung, in Verbindung mit der Möglichkeit
einer lebenslangen Strafverfolgung zu unterliegen, im Missverhältnis
zu dem Ziel stehen, die Ableistung seines Militärdienstes sicherzustellen;

Das Gericht betonte zugleich, dass diese Herangehensweise nicht mit den
strafrechtlichen Bestimmungen einer demokratischen Gesellschaft zu vereinbaren
ist.
Das Gericht befand ferner,
dass diese Handhabung eine fortwährende Rechtsverletzung meines Mandanten
gemäß Art. 3 der der Europäischen Menschenrechtskonvention
darstellt.

Die Entwicklungen beim
Ministerkomitee des Europarates

Nachdem das Urteil des EGMR
rechtskräftig geworden war, übernahm das Ministerkomitee des
Europarates den Fall, um die Umsetzung zu beobachten. Dazu tagte das Ministerkomitee
bisher vier Mal.

In der Sitzung vom 05.12.2006
fragte das Komitee die türkische Regierung an, welche Art der Vorkehrungen
sie gegen die weitergehende Rechtsverletzung des Klägers (und hinsichtlich
der allgemeinen Handhabung bezüglich der Kriegsdienstverweigerung)
unternommen habe.

Die Sitzung vom 14.02.2007
hatte die Löschung des Strafregistereintrages (urgent quashing of
the applicant´s criminal conviction) zum Inhalt. Hierbei erging
seitens des Komitees eine Rüge an die verantwortlichen Vertreter
der Türkei, weil bisher keinerlei Vorkehrungen zur Behebung der
Rechtsverletzungen vorgenommen wurde. Ferner wurde gerügt, dass der
Kläger aus diesem Grunde weiterhin einer fortwährenden Strafverfolgung
ausgesetzt ist.

In der Sitzung vom 04.04.2007
wurde wiederum mit Bedauern festgestellt, dass weder Vorkehrungen hinsichtlich
des Einzelfalls sowie hinsichtlich der allgemein zu treffenden Maßnahmen
unternommen wurden, noch Auskunft diesbezüglich erteilt wurde. Daraufhin
nahm das Komitee zu Protokoll, dass
in der nächsten Sitzung die Beratung hinsichtlich einer Vorbeugungsmaßnahme
(tedbir karari) besprochen würde.

Zum Treffen des Ministerkomitees
am 6. Juni 2007 erklärte die türkische Regierung, dass ein Gesetzentwurf
in Vorbereitung sei, der die wiederholte Bestrafung von Kriegsdienstverweigerern
aus Gewissensgründen verhindere und dass dieses Gesetz auch „allen
mit der Beeinträchtigung des Antragstellers verbundenen negativen
Konsequenzen abhelfen“ werde.

Laut der dem Komitee vorliegenden Auskunft soll dieser vermeintliche
Gesetzentwurf Folgendes regeln:

– Personen, die aufgrund ihres
Gewissens oder ihres Glaubens den
Militärdienst verweigern, würden nicht einer wiederholten und
unaufhörlichen
Strafverfolgung unterliegen und würden somit nicht wegen fortgesetzten
Ungehorsams wiederholt verurteilt werden.

– Jegliche Beeinträchtigungen
des Antragstellers Osman Murat Ülke würden
beseitigt. (Anlage 3)

Vorliegend handelt
es sich um einen Justizskandal.

Die Vorladung meines Mandanten,
die auf den bislang geltenden Rechtsgrundlagen zu seiner „Festnahme“
führt, bringt die Realität des so genannten „zivilen Todes“
noch einmal vor Augen und ist ein erheblicher Rückschritt: mithin
ein Justizskandal.

Die türkische Regierung hält sich nicht an die auch in ihrer
Verfassung zugrunde gelegte und durch internationale Verträge erklärte
Verpflichtung.

In Artikel 90 des türkischen
Grundgesetzes heißt es: „Die verfahrensgemäß in
Kraft gesetzten völkerrechtlichen Verträge haben Gesetzeskraft.
Gegen sie kann das Verfassungsgericht mit der Behauptung der Verfassungswidrigkeit
nicht angerufen werden.“

Die Türkische Republik
trat im Jahre 1954 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
bei. 1987 wurde das individuelle Klagerecht türkischer Staatsbürger
bei der Europäischen Menschenrechtskommission und 1989 die Befugnis
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Rechtsprechung
akzeptiert.

Somit ist die türkische
Regierung nach ihrer eigenen Verfassung, nach der EMRK und ihrer dazu
abgegebenen Erklärung an den Europarat gebunden und verpflichtet,
dem am 24.01.2006 verkündeten Urteil Folge zu leisten.

Dies umfasst nicht allein die
Zahlung des Schadensersatzes, sondern auch die Beseitigung der verursachten
Beeinträchtigungen. Falls diese Beeinträchtigungen auf gesetzlichen
Regelungen beruhen, müssen sie durch eine Neuregelung des Gesetzes
beseitigt werden.

Die Regierung hat gegenwärtig
weder der fortlaufenden Beeinträchtigung meines Mandanten abgeholfen,
noch die Beeinträchtigung der übrigen Kriegsdienstverweigerer
beseitigt. Des Weiteren wurde bisher kein Schritt zur Beseitigung der
Diskriminierungen unternommen.

Das Verhalten der türkischen Regierung ist nicht aufrichtig

Die Regierung verspricht dem
Europarat einerseits, dass sie das EGMR-Urteil befolgen, die Beeinträchtigungen
der Kriegsdienstverweigerer sowie insbesondere Osman Murat Ülkes
aufheben durch gesetzliche Neuregelungen weitere Beeinträchtigungen
verhindern werde.

Andererseits werden Schritte
in die Wege geleitet, meinen Mandanten zu inhaftieren.

Die rechtliche Situation von
Osman Murat Ülke muss mit sofortiger Wirkung korrigiert werden.

Aufgrund der auf Osman Murat
Ülke gerichteten Bedrohung haben wir, seine bevollmächtigten
RechtsanwältInnen, gestern die unten aufgeführten Anträge
an das Ministerkomitee des Europarates gestellt. (Anlage 4)

Außerdem haben wir das
Schreiben aus gegebenem Anlass an die Militärstaatsanwaltschaft des
Militärgerichts Eskisehir, die Staatsanwaltschaft Ayvalik, das Auswärtige
Amt sowie den Generalstab zur Kenntnisnahme weitergeleitet. (Anlage 5)

Alle gegen unseren Mandanten
bestehenden Vollstreckungsmaßnahmen müssen unter Zugrundelegung
des EGMR-Urteils mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden. Dazu müssen
alle erdenklich geeigneten Schritte unternommen werden.

Die Eintragungen im Strafregister
unseres Mandanten müssen, wie in der Sitzung vom 14.02.2007 vorgesehen,
gelöscht werden, so dass er legalisiert wird.

Osman Murat Ülke müssen
die vollständigen Bürgerrechte eingeräumt bzw. erneut angeordnet
werden.