Leben als Asylsuchende in Deutschland. Vortrag bei der Jubiläumsfeier der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum e.V., 3.11.07

03.11.2007

Leben als Asylsuchende in Deutschland –
ein Tunnel, in dem meist am Ende kein Licht zu sehen ist


Vortrag eines Klienten der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum
e.V. bei der Jubiläumsfeier am 3. November 2007

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde!

Ich stamme aus dem Iran und kam 1998 als Asylsuchender ohne meine Familie
nach Deutschland. Ich freue mich, dass mir im Rahmen dieser Jubiläumsfeier
die Möglichkeit gegeben wurde, zu Ihnen zu sprechen, sowohl über
die Beweggründe, meine Heimat zu verlassen und in Deutschland Asyl
zu beantragen, als auch über meine Beziehung zur Medizinischen Flüchtlingshilfe
Bochum, mit der ich seit fünf Jahren in Kontakt stehe.

Im Juni 1980 begann im Iran durch das islamische Regime die Welle der
Verhaftungen, Folterungen und Hinrichtungen von Andersdenkenden, Intellektuellen,
Mitgliedern von religiösen und ethnischen Minderheiten sowie von
Personen, die sich für Frauenrechte einsetzten.

Damals war ich als Arbeiter bei einer Straßenbaufirma beschäftigt
und setzte mich als Sympathisant einer linken Partei für die Rechte
der Arbeiter ein. In diesem Sommer wurde ich verhaftet und verbrachte
insgesamt 29 Monate in verschiedenen Gefängnissen des Iran.
Während meiner Haftzeit wurde mir wie vielen anderen Gefangenen ein
Rechtsbeistand verwehrt, zu einer Gerichtsverhandlung kam es nicht. Ich
wurde häufiger gefoltert und wegen meiner schweren Verletzungen dreimal
ins Krankenhaus gebracht; einmal mussten meine Füße operiert
werden, da sie durch die Folter stark entzündet waren. Die Erinnerungen
an diese Zeit und an den Verlust meiner Freunde verfolgen mich noch heute.
Zu dieser Zeit wurden verstärkt Mitglieder linker Gruppierungen hingerichtet,
da sie von der iranischen Regierung als gottlos eingestuft wurden. Ich
wurde während meiner Haft mehrmals gezwungen, die Leichen der Hingerichteten
zu transportieren. Ich spüre heute noch die Wärme des Blutes
der Erschossenen.

Seit Beginn der islamischen Revolution im Iran im Jahre 1979 wurden,
nach Angabe von oppositionellen Gruppierungen, mehr als 100.000 Menschen
auf verschiedene Weise hingerichtet oder ermordet, bis heute zum Teil
in aller Öffentlichkeit.
Mit jeder Nachricht über neue Hinrichtungen kehrt meine Gefängniszeit
in meine Erinnerung zurück. Nicht zuletzt wegen dieser qualvollen
Erfahrungen hoffe ich, dass eines Tages die Todesstrafe auf unserem Planeten
abgeschafft wird.

Während der Haftzeit stand mein Name auf der Hinrichtungsliste,
doch durch Vermittlung zwischen meiner Familie und den lokalen Behörden
und die Hinterlegung einer hohen Kaution wurde ich unter strengen Auflagen
aus dem Gefängnis entlassen: Arbeitsverbot, Verbot der Nutzung von
Bildungseinrichtungen, massive Einschränkung der Bewegungs-freiheit
bzw. Residenzpflicht und Verbot, die Stadt zu verlassen.

Nach der Entlassung nahm ich heimlich meine politischen Aktivitäten
wieder auf, wurde jedoch nach einigen Jahren denunziert. Um einer weiteren
Verhaftung zu entgehen und um mein Leben zu retten, ging ich in den Untergrund.
Schließlich floh ich nach Deutschland, ohne mich von meiner Frau
und meinen beiden Söhnen verabschieden zu können.
Leider wurde zuerst mein Asylantrag nicht anerkannt. Erst nach neun Jahren
konnte für mich im zweiten Versuch im Juni 2007 ein Abschiebeverbot
nach § 60 Abs. 7 des Aufent-haltsgesetzes erwirkt werden.

Zweieinhalb Jahre nach meiner Flucht konnten meine Frau und meine beiden
Kinder auf illegalem Wege und durch Zahlung einer hohen Summe den Iran
verlassen, um zu mir zu kommen. Bei der Ankunft in Deutschland befand
sich nur noch der jüngere Sohn bei meiner Frau; der ältere Sohn
war während der Flucht von den Schleppern festgehalten worden, um
von uns Lösegeld zu erpressen. Diese Situation führte bei meiner
Frau und bei meinem älteren Sohn zu einer Traumatisierung, die bis
heute anhält.
Nach drei Wochen wurde mein Sohn freigelassen. Die Freude darüber
wurde jedoch von einer neuen Lebenssituation mit vielen Strapazen überdeckt.
Den Status der Duldung zu besitzen heißt in Deutschland: keine Aufenthaltserlaubnis,
keine Krankenversicherung, ein Leben im Flüchtlingsheim unter schlechten
hygienischen Bedingungen, ein Leben mit Menschen verschiedener Nationen
und Kulturen auf engstem Raum, obwohl jeder ein individuelles Schicksal
hat, mit individuellen psychischen Problemen und Traumata. Ein Leben in
Duldung heißt jahrelanges Leben in einem äußerst begrenzten
Umfeld, ohne Anrecht auf Freizügigkeit und ohne Zukunftsperspektive.
Diese Situation hat die bitteren Erfahrungen im Gefängnis wieder
lebendig werden lassen. Am schlimmsten ist für mich, dass ich jeden
Tag mit ansehen muss, unter welchem Druck meine Familie steht. Ich weiß
nicht, ob Ihr meine Gefühle nachvollziehen könnt, doch ich hoffe,
dass diese diskriminierenden Gesetze und Einschränkungen für
Flüchtlinge in Deutsch-land abgeschafft werden.

Ein dauerhafter Aufenthalt meiner Frau und meiner Kinder ist weiterhin
nicht gewährleistet. Das für mich erwirkte Abschiebeverbot gilt
nicht für meine Familie; dagegen hätte meine Anerkennung als
Asylberechtigter auch meine Angehörigen mit einbezogen.
Die neue Bleiberechtregelung vom 1. Juli 2007 traf leider nicht auf uns
zu, da mein jüngerer Sohn nur wenige Tage vor dem Stichtag volljährig
wurde. Trotz dieser Schwierigkeiten konnten unsere Söhne hier zur
Schule gehen; der Ältere wurde zum Studium an der Universität
zugelassen.

Erlaubt mir, dass ich Euch meine Empfindungen beschreibe. Die größte
Belastung in all den Jahren in Deutschland entstand aus dem Gefühl
der Ungerechtigkeit gegenüber meiner Familie und mir. Warum wurde
ich nicht von vornherein anerkannt? Wer ist verantwortlich für diese
neun schweren Jahre, die meine Familie und ich durchlebt haben?

Dieser psychische Druck und alle anderen Schwierigkeiten, die meine Familie
und ich im Iran und auf der Flucht erfahren haben, sowie die ungewisse
Zukunft ohne gesicherten Aufenthalt in Deutschland führten dazu,
dass meine Familie und ich in eine massive psychosoziale Krise gerieten.
Um dieses Problem lösen zu können, wurde ich vor fünf Jahren
durch einen Freund mit der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum
bekannt gemacht. Die folgende professionelle Unterstützung durch
die Medizinische Flüchtlingshilfe war und ist notwendig, da der Aufenthaltsstatus
meiner Familie weiterhin ungeklärt ist.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde!
Glauben Sie mir, diese täglichen Sorgen, die kein Ende nehmen, rauben
einem Flüchtling jede Kraft; bei Vielen führt diese Perspektivlosigkeit
zu Depressionen und zu einem Verlust des Selbstwertgefühls. In der
deutschen Sprache gibt es ein Sprichwort, um eine Hoffnung auszu-drücken,
„das Licht am Ende des Tunnels sehen“. Aber glauben Sie mir,
unter diesen harten Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge leben,
ist ihr Leben meist wie ein Tunnel, in dem am Ende kein Licht zu sehen
ist. Wenn unter diesen harten Bedingungen ein Asylsuchender einen Ort
wie die Medizinische Flüchtlingshilfe findet, wo er als Mensch anerkannt
und verstanden wird und seine Sorgen ernst genommen werden, dann ist dieser
Ort sehr wertvoll für ihn.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde!
Ich hoffe, meine Erzählungen trüben Euch nicht die Freude an
dieser Feier. Am Ende möchte ich allen Mitgliedern der Medizinischen
Flüchtlingshilfe Bochum und allen Menschen, die sich in diesen zehn
Jahren für die Rechte und Belange der Flüchtlinge eingesetzt
haben, sagen, dass Eure Solidarität sehr wertvoll ist. Ich wünsche
Euch weiterhin viel Erfolg bei Eurer Arbeit.

Vielen Dank für Ihre und Eure Aufmerksamkeit!
M.H.