Frauen im Iran – Bericht einer Überlebenden von Folter: Vom kleinen Gefängnis zu einem größeren

 31. Oktober 2005

Der folgende Artikel stellt
keine Gefängniserinnerungen und keine politische Erklärung dar.
Die Grausamkeiten und Verbrechen des iranischen Regimes sind offensichtliche
Tatsachen, die weltweit bekannt sind und keine zusätzliche Erklärung
erfordern. Ich habe diesen Artikel im Oktober 2005 auf Wunsch des „Bildungswerks
für Friedenspolitik und gewaltfreie Veränderung, UMBRUCH“
geschrieben und zum ersten Mal vor einer Runde von Flüchtlingen aus
verschiedenen Ländern vorgetragen. Er wirft lediglich einen Blick auf
ein paar Jahre meines Lebens, die mit dem Schicksal der iranischen Gesellschaft
eng verbunden sind.

Kamelia Akhbari
Azad

Frauen im Iran – Bericht einer Überlebenden
von Folter

Vom
kleinen Gefängnis zu einem größeren

Ich bin Kamelia Akhbari Azad und seit etwa vier Jahren in Deutschland.

Im Herbst 1983 wurde ich im Iran verhaftet und Anfang 1991 entlassen,
habe also fast sieben Jahre dort im Gefängnis verbracht.
Das Gefängnis in meiner Heimat kann man ganz verschieden betrachten.
Natürlich ist es unmöglich, in zehn Minuten die sieben Jahre
zu beschreiben und/oder gar zu kommentieren. Ich versuche trotzdem ein
kleines Fenster aufzustoßen, um etwas Licht in diese Zeit und meine
konkreten Erlebnisse zu bringen. Alles was ich Ihnen erzählen will,
geschah mit meinem Mann, meiner Schwägerin und mir im Herbst 1983,
als wir verhaftet wurden.

Unsere Augen wurden verbunden
und die Hände meines Mannes mit Handschellen gefesselt. Dann sind
wir zum Verhör in eine Haftanstalt gebracht worden.
Mit dem Verhör wurde bereits in der ersten Nacht begonnen. Mein Mann
konnte fünf Tage später aus dem Gefängnis fliehen. Können
Sie sich vorstellen, was es bedeutet, aus einem Gefängnis im Iran
zu fliehen? Wir sitzen heute Abend – nach 22 Jahren – in freundlich
demokratischer und entspannter Runde zusammen und unterhalten uns über
das Gefängnis und über das Fliehen. Es ist völlig unvorstellbar,
welche Bedeutung es hat, aus einem iranischen Gefängnis zu fliehen,
wie viel Mut, Courage, Intelligenz und Fähigkeiten man haben muss
und wie viel Liebe zum und Freude am Leben es bedarf, um trotz aller Unmöglichkeiten
eine solche Flucht doch möglich zu machen.

Mein Mann
blieb die nächsten eineinhalb Jahre in Teheran, um im Untergrund
gegen das Regime zu kämpfen. Danach entschied er sich, nach Kurdistan
zu gehen und den Kampf dort fortzusetzen. Eineinhalb Jahre später
ist er bei einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der Komeleh,
einer revolutionären Organisation der Werktätigen in Kurdistan-Iran,
und den Pasdaran, den iranischen Revolutionswächtern, gefallen. Er
war zu diesem Zeitpunkt knapp 27 Jahre alt und hat zehn Jahre davon gegen
zwei diktatorische Regime im Iran gekämpft.

Ich bin im Gefängnis
geblieben. Es war mein Schicksal, das Gefängnis zu erleben, das mein
ganzes Leben geprägt hat.
Da war ein langer Gang, in dem wir uns auf den Boden setzen mussten und
schlafen. Man gab uns zwei Decken, eine als Unterlage und eine zum Zudecken.
Unsere Augen waren immer verbunden, selbst wenn wir zur Toilette gingen,
die wir drei Mal am Tag aufsuchen durften.
Es war uns nicht erlaubt, miteinander zu sprechen, und wir durften unsere
Plätze nicht verlassen und nicht unsere Köpfe zur Seite zu drehen.
Jeden Morgen um acht Uhr klingelte es und es wurde eine Liste mit den
Namen der Gefangenen abgegeben, die zum Verhör mussten. Fünf
Minuten später verließ eine lange Schlange von uns die Zellen,
um zum Verhör geführt und gefoltert zu werden.

Gefangen zu sein, bedeutet nicht nur, in einen Raum gesperrt zu werden,
sondern es bedeutet vor allem psychische, seelische und geistige Belastung.
Beim Verhör und bei der Folterung steht man ganz allein gegen das
System, das in einem oder mehreren Folterern zutage tritt. Sie besitzen
die Macht und bestimmen das Schicksal. Man wird geschlagen, beschimpft,
erniedrigt, ausgelacht, einfach unmenschlich behandelt. Frauen werden
vergewaltigt, und zwar tagelang, ohne Unterbrechung. Die Welt wird so
klein und das Leben verkürzt sich in diesem Raum, dieser Zeit und
diesem Moment so, als könntest du deinen Willen nicht mehr beherrschen.
Man will nicht nur deinen Körper zerstören, sondern vor allem
deinen Mut, deine Ideale, die Freiheit und die Menschenwürde, eben
alles, was kostbar ist. Es ist ein völlig ungleicher Kampf, denn
du stehst allein und die Welt ist gegen dich. Aber solange man nichts
verrät, beherrscht man die Situation, obwohl dein Körper zerrissen
worden ist.

Nach dieser monatelang und sogar jahrelang dauernden Phase wurde man mit
verbundenen Augen vor das Gericht gestellt, ohne Rechtsanwalt. Nur der
Richter und der Folterer als Staatsanwalt waren anwesend. Die Verhandlung
dauerte nur zehn Minuten.
Verurteilt zu sein bedeutet nicht etwa, nicht mehr angegriffen zu werden.
Es besteht immer die Gefahr, dass man aus irgendwelchen Gründen bestraft
wird. Innerhalb der sieben Jahre habe ich insgesamt zwölf Monate
in Isolierzellen verbracht. Nach vier Jahren wurde ich erneut verhört
und gefoltert.
Das Konzept ist klar. Man darf sich keine Sekunde in Sicherheit wiegen,
man darf keinen Willen, keine Wahl, keine Zukunft haben. Das Regime bestimmt
über uns. Es hat die Macht dazu. In der 80er Jahren konnte es, gestützt
auf den Krieg mit dem Irak, mit Gefängnissen, Hinrichtungen auf der
Straße und ähnlichen Grausamkeiten die Gesellschaft unter Druck
setzen, um seine Macht zu demonstrieren und zu festigen.

In einer der Ausnahmesituationen des Besuchs einer Delegation von „Human
Rights Commission“ der Vereinten Nationen war der Staat gezwungen,
uns zu entlassen.
Als Mitte 1978, zur Schah-Zeit, Gefangene freigelassen wurden, herrschte
in der Gesellschaft revolutionäre Aufbruchstimmung. Die entlassenen
Gefangenen wurden herzlich begrüßt, nicht nur von ihren Familien
und dem Verwandten- und Freundeskreis, sondern auch von der Gesellschaft.
Ihre politische Einstellung wurde bewundert und die Personen verehrt.
Es gab Hoffnung für einen politischen Umbruch. Die Gesellschaft hatte
sich radikal verändert.
Als wir jedoch entlassen
wurden, sind wir nur von einem Gefängnis in ein anderes gekommen.

Gesetze, Regelungen, die nun herrschende Kultur und die öffentliche
Meinung standen gegen uns. Die Gesellschaft befand sich in einer wirtschaftlichen
Krise, die sich ständig verschlechterte. Im Gefängnis waren
unsere Feinde sichtbar gewesen, jetzt waren sie unsichtbar vorhanden.
Unsere politischen Aktivitäten wurden zwar gelobt, sie gehörten
aber der Vergangenheit an. Die Regierung übte ihre Macht nicht mehr
nur durch ihre Institutionen aus, sondern auch durch die öffentliche
Meinung.
Als Frau muss man nicht nur gegen die Gesetze, sondern auch gegen Fanatismus,
gegen mittelalterliche Mentalität und gegen die Denkweise kämpfen,
dass Frauen nur als Instrumente für Männer angesehen werden.

Wir erhielten nach dem Abbüßen der Haft Berufs- bzw. Studienverbot.
Der Sicherheitsdienst spionierte uns ständig nach, wir wurden beobachtet
und unsere Telefonate abgehört.
Oft wurden wir auch über das Telefon bedroht. Sechs Jahre nach der
Entlassung wurde ich nochmals vorgeladen und wurde vier Stunden verhört.
Wir hatten keinen Job, kein Geld, keine Unterstützung, keine Position!
Ich bin noch zehn Jahre nach dem Abbüßen der Haft im Iran geblieben
und habe dort diese Hölle durchlebt.

Im Sommer 2001 bin ich
nach Deutschland gekommen. Hier hat meine Anhörung insgesamt vier
Tage gedauert. Zwei Jahre nach dieser Anhörung hatte ich weder ein
Protokoll darüber erhalten, noch eine Auskunft über das Ergebnis
vom Bundesamt bekommen. Ich erteilte einem Rechtsanwalt Vollmacht, und
dank seiner Bemühungen wurde mir ein Protokoll zugestellt und ich
bekam einen neuen Termin für eine weitere Anhörung. Zehn Tage
nach dieser erneuten Anhörung entschied das Bundesamt, mich als Asylberechtigte
anzuerkennen.

Inzwischen habe ich angefangen
zu studieren. Ich studiere Jura an der Ruhr-Universität Bochum. Im
Zusammenhang mit juristischen Fachkenntnissen möchte ich meine politische
Überzeugung für die Menschenrechte ausüben. Aus diesem
Grund arbeite ich auch bei der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum
ehrenamtlich mit.

Ich wünsche mir
eine andere Welt, eine gerechte Welt, eine Welt, in der kein Gefängnis,
keine Folterung, keine Folterer, keine Armut, keine Leiden, keine Diskriminierung
vorkommen.
Ich versuche meine Rolle auf dem Weg in diese Welt zu finden, sie zu realisieren.
Ich versuche es. Aber ich weiß, dass ich diese mit großer
Wahrscheinlichkeit in dieser Welt nicht erleben werde. Aber ich habe nie
die Hoffnung dafür aufgegeben.
Erich Kästner hat gesagt: „Die beste Moral ist die Moral des
Versuches.“
Und ich versuche es und hoffe, meinen Teil für eine bessere Zukunft
der Menschheit beizutragen.
Wir leiden. Aber trotzdem geben wir die Hoffnung für die große
Freude nicht auf; durch Leiden zur Freude.