WDR-Interview mit der MFH

 16.03.2007

Flüchtlingshilfe Bochum – Verarbeitung von Kriegsfolgen

Ein Interview des WDR vom 16.3.2007 mit der Psychotherapeutin Anamaria Diaz zum
zehnjährigen Bestehen der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum e.V.

Die Medizinische Flüchtlingshilfe in Bochum feiert in diesem Jahr
ihr 10-jähriges Bestehen.
Gegründet würde der Verein 1997 zur Unterstützung von Flüchtlingen,
die ohne Krankenversicherung durch das Versorgungsnetz fielen. Mittlerweile
bietet die Medizinische Flüchtlingshilfe aber nicht nur ärztliche
Beratungen und Behandlungen in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Praxen
an, sondern kümmert sich auch um die alltäglichen Sorgen und
Nöte der Flüchtlinge.
Ein unscheinbares Einfamilienhaus in verkehrsgünstiger Lage im Bochumer
Industriegebiet ist Anlaufstelle für die Menschen in Not.

Seit Bestehen der Flüchtlingshilfe hat die Exilchilenin Anamaris
Diaz viel zu tun. Die Psychotherapeutin betreut eine ganz besondere Klientel:
“Die Menschen, die zu uns kommen sind alles Überlebende von
Menschenrechtsverletzungen, von Krieg, von Gewalt, und die kommen aus
verschiedenen Ländern, Kosovo, Afghanistan, Irak, Türkei, Kurdistan,
aber auch aus Lateinamerika, die Jahre später immer noch an die Folgen
ihrer Traumatisierungen leiden, und alle kommen zu uns.”

So auch eine 38-jährige Frau aus der Türkei. Wegen ihres politischen
Engagements für mehr Menschenrechte und ihrer Teilnahme an Demonstrationen
wurde sie inhaftiert. 3 1/2 Jahre verbrachte sie in einem Gefängnis
in Anatolien, bis sie auf Bewährung entlassen wurde. Dann verließ
die gelernte Krankenschwester die Türkei, um in Deutschland ein neues
Leben zu beginnen.
Nach ihrer Einreise bat Jasmina um Asyl. Ihren Antrag begründete
sie mit ihren traumatischen Erlebnissen der Misshandlung: Foltermethoden,
an denen Jasmina bis heute leidet, aber für die Anerkennung als politisch
Verfolgte im Asylverfahren nicht ausreichten. Für eine Aufenthaltserlaubnis
verlangte das Gericht ein medizinisches Gutachten. Deshalb suchte die
junge Türkin die Flüchtlingshilfe auf.
Für die Therapeutin Anamaria Diaz ist das kein Einzelfall: “In
ihrem Asylverfahren wird traumatisierten Menschen wenig Glauben geschenkt,
wird meistens so als unglaublich betrachtet, als ob reine Lügen wären,
das heißt diese Zeugnisse werden nicht ernst genommen, und eben
deswegen kommt zu uns viele Menschen auf der Suche nach psychologischen
Gutachten. Ziel dieser Gutachten ist, dass diese Behörden oder die
Gerichte dadurch ihre Geschichten für plausibel oder glaubhaft aufnehmen
oder verstehen.”

Für Menschen, wie die verängstigt wirkende Türkin Glück
im Unglück. Wie Jasmina werden derzeit 20 Opfer von Gewalt und Verfolgung
im Zuge ihres Asylverfahrens in der Flüchtlingshilfe psychologisch
betreut. Neben der Psychotherapie, die mindestens ein Jahr dauert, unterstützen
die fünf Mitarbeiter des Vereins aber auch die Flüchtlinge bei
ihrer Eingliederung. Eine Sozialarbeiterin hilft bei der Wohnungssuche
und Behördengängen . Sie kümmert sich um die Anmeldung
für einen Sprachkurs ebenso, wie um eine medizinischen Behandlung.
Aber neben der praktischen Betreuung versteht sich die Flüchtlingshilfe
auch als Fürsprecher der Menschen in Not. Mit jeder Menge Aufklärungsarbeit
wirbt der Verein für mehr Respekt und Akzeptanz der Außenseiter
in aller Öffentlichkeit. Anamaria Diaz: “Wir beteiligen uns
auch an Kampagnen für Menschenrechte, weil unser Ansatz besteht darauf,
beides zu verbinden: Gesundheit als Menschenrecht, und da, wo es Unrecht
gibt: auch etwas darüber zu sagen.”

Allein im vergangenen nahmen 450 Menschen die kostenlose Betreuung der
Flüchtlingshilfe in Anspruch. Aber die finanziellen Mittel der von
Stadt und Land geförderten Organisation sind begrenzt. Deshalb revanchieren
sich mittlerweile viele Flüchtlinge ehrenamtlich für die Unterstützung
des Vereins. Denn gerade die Opfer von Krieg und Gewalt brauchen eine
Aufgabe für ihre Vergangenheitsbewältigung.
Dank ihrer neuen Aufgabe in der Flüchtlingshilfe fühlt sich
auch die 38-jährige Türkin Jasmina viel besser bei der Verarbeitung
ihres eigenen Traumas: “Ich mache Sprechstunde als Krankenschwester
für die Menschen, die keine Krankenversicherung haben. Ich finde
eine Beschäftigung sehr wichtig, um die Traumatisierung zu erledigen.
Sie haben mir sehr geholfen, Sozialkontakte finden.”

Die
erweiterete Audioversion des Textes