Türkei: Menschenrechtsexpertin Şebnem Korur Fincancı angeklagt wegen angeblicher “Terrorpropaganda”

10.01.2017

Türkei: Menschenrechtsexpertin Şebnem Korur Fincancı angeklagt wegen angeblicher “Terrorpropaganda”

Şebnem Korur Fincancı, Vorsitzende der Türkischen Menschenrechtsstiftung Türkiye İnsan Hakları Vakfı – Human Rights Foundation of Turkey, wurde am 20. Juni 2016 gemeinsam mit den Journalisten Erol Önderoğlu und Ahmet Nesin wegen angeblicher “Propaganda für eine terroristische Organisation” festgenommen. Hintergrund dieser Festnahme ist eine Solidaritätsaktion für die prokurdische Tageszeitung Özgür Gündem, an dem sich Fincancı, Önderoğlu, Nesin und viele andere AktivistInnen und JournalistInnen beteiligten. Die Solidaritätsaktion bestand darin, dass sie sich symbolisch zu verantwortlichen RedakteurInnen der Özgür Gündem erklärten, um gegen die staatliche Repression gegen Özgür Gündem Stellung zu beziehen.

Im Rahmen eines Verbotverfahrens gegen Özgür Gündem wegen “Propaganda für eine terroristische Organisation” wird gegen alle TeilnehmerInnen dieser Solidaritätsaktion mit dem gleichem Vorwurf ermittelt. Şebnem Korur Fincancı wurde nach 10 Tagen Isolationshaft am 30. Juni 2016 freigelassen, aber die Anklage wurde nicht fallengelassen. Die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V. (MFH) hat mit Ş. K. Fincancı und der TIHV in den vergangenen Jahren im Kampf gegen Folter und für die Durchsetzung der Menschenrechte intensiv zusammengearbeitet.

Am 16. August 2016 wurde die prokurdische Zeitung Özgür Gündem verboten und in der Zwischenzeit zahlreiche JournalistInnen und MitarbeiterInnen festgenommen. Es ist indes nicht das erste Mal, dass die Zeitung verboten und ihre MitarbeiterInnen festgenommen werden. 1994, nur zwei Jahre nach ihrem Ersterscheinen, wurde Özgür Gündem zum ersten Mal verboten. In diesen zwei Jahren wurden von 580 Ausgaben der Zeitung 486 konfisziert und über 90 MitarbeiterInnen festgenommen. In den folgenden Jahren erschien Özgür Gündem immer wieder für kurze Zeit unter neuen Namen und wurde immer wieder verboten oder musste eingestellt werden.

Ab 2011 konnte Özgür Gündem wieder unter den ursprünglichen Namen erscheinen, allerdings hörte die Repression nicht auf. Bereits im Dezember 2011 wurden wieder JournalistInnen der Zeitung wegen angeblicher “Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation” festgenommen. Nach einem kurzen Prozessauftakt am 8. November 2016, der etwa 1 Stunde dauerte, wird am 11. Januar 2017 weiterverhandelt. Auch wenn die Anklage inhaltlich absurd ist und in einem rechtstaatlichen Verfahren keinen Bestand hätte, ist eine Verurteilung angesichts der politischen Kontrolle der Justiz durch Staatspräsident Erdoğan und die AKP-Regierung leider nicht ausgeschlossen. Die MFH beobachtet den Prozess gegen Şebnem Korur Fincancı mit großer Sorge und wird über den weiteren Ablauf berichten.