Forderungen des Netzwerks Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – NRW

Ein hoher Anteil an schutzsuchenden Menschen in Deutschland muss z.B. im Rahmen von Krieg, politischer Verfolgung sowie auf der Flucht Gewalt erleiden, wodurch traumatische Erlebnisse die Folge sind. Diese höchstbelastenden Erfahrungen bedürfen medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung. Aufgrund vieler Hürden erhalten nur wenige eine angemessene Behandlung. Psychosoziale Zentren (PSZ) bieten geflüchteten Menschen psychotherapeutische Behandlung sowie sozialarbeiterische Beratung an und versuchen der langanhaltenden Versorgungslücke in der Medizin und Psychotherapie entgegenzuwirken. Mit den verfügbaren Ressourcen ist es allerdings nicht möglich, dem hohen psychosozialen Versorgungsbedarf gerecht zu werden, sodass wir zusammen mit dem Netzwerk Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – NRW Forderungen für die nächste Legislaturperiode in NRW aufgestellt haben.

In Deutschland leben aktuell ungefähr 1,3 Millionen Geflüchtete viele von ihnen im laufenden Asylverfahren und mit ungesichertem Aufenthaltsstatus. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden im Jahr 2021 148.233 Asylerstanträge gestellt (BAMF, 2022)1 und viele dieser Menschen kommen in Nordrhein-Westfalen an.

Ein sehr hoher Anteil der in Deutschland schutzsuchenden Menschen hat im Heimatland z.B. im Kontext von Krieg, politischer Verfolgung oder ethnischer und rassistischer Diskriminierung sowie auf der Flucht Gewalt erlebt und infolge der hochbelastenden Erfahrungen eine Traumafolgestörung entwickelt. Nach einer umfassenden Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK vom Oktober 2018 zeigen mehr als 44% der Befragten gesundheitliche Probleme, vorwiegend psychische Störungen (Schröder et al., 2018)2 . Die Prävalenzrate für eine Posttraumatische Belastungsstörung liegt in einer Metanalyse deutscher Studien zwischen 16 und 55%. Trotz dieser schwerwiegenden gesundheitlichen Belastungen kommen nur ca. 2% der Geflüchteten in der medizinischen Regelversorgung und in psychotherapeutischer Behandlung an (Bozorgmehr et al., 2016)3 .

Um dieser eklatanten Versorgungslücke zu begegnen, bieten die Psychosozialen Zentren (PSZ) in NRW geflüchteten Menschen psychotherapeutische Behandlung sowie sozialarbeiterische Beratung an, bei Bedarf unter Hinzuziehung von Sprach- und Kulturmittler*innen. Aber die PSZ in NRW können mit den verfügbaren Ressourcen dem hohen psychosozialen Versorgungsbedarf nicht gerecht werden.
Nach der Richtlinie 2013/33/EU4 des Europäischen Parlaments und des Rates sind die Europäischen Mitgliedstaaten angehalten, die Situation von besonders vulnerablen schutzbedürftigen Personen zu berücksichtigen, deren Bedarfen Rechnung zu tragen sowie den notwendigen besonderen Schutz und Maßnahmen der medizinischen und psychosozialen Versorgung bereitzustellen. Um dem zu folgen, bedarf es dringend struktureller und finanzieller Nachsteuerungen auf Landesebene.
Die aktuelle Situation der Geflüchteten aus der Ukraine macht noch einmal deutlich, dass kurzfristige und unbürokratische Lösungen im Sinne der Geflüchteten und die Reduktion des administrativen Aufwandes notwendig und möglich sind. An diesem Ansatz möchten wir gerne gemeinsam mit Ihnen festhalten und eine Versorgung von Geflüchteten bedarfsgerecht und unabhängig vom Aufenthaltsstatus nachhaltig aufstellen und weiterdenken.

Für die kommende Legislaturperiode fordern wir daher:

  1.  Frühzeitige und systematische Identifizierung besonders schutzbedürftiger Gruppen in NRW
    NRW muss endlich eine systematische Identifizierung der Belastungen und Bedarfe von Geflüchteten, die Gewalt und Folter erlebt haben oder aus anderen Gründen besonders verletzlich sind, strukturell etablieren. Es ist höchste Zeit, dass die seit sechs Jahren bestehenden Verpflichtungen des Kapitels IV der EU-Aufnahmerichtlinie umgesetzt werden. Europäisches Recht darf nicht länger ignoriert werden. Wir fordern Strukturen zur flächendeckenden Ermittlung von Vulnerabilität und Bedarfen. Das Leid vulnerabler Geflüchteter zu verringern, sollte bei Verwaltungsentscheidungen Vorrang besitzen. Die Anforderungen an den Nachweis für Bedarfe müssen dabei der situativen Möglichkeit der Betroffenen entsprechen. Es braucht eine etablierte Kooperation der für die Aufnahme und Versorgung zuständigen Ministerien und Behörden unter Einbeziehung des Wissens der Zivilgesellschaft, damit Versorgungs- und Behandlungsansprüche in der Praxis umsetzbar werden.5
  2. Forderung: Gesundheitskarte
    Seit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) in NRW sind nur wenige Kommunen der Rahmenvereinbarung beigetreten. Im Verbund der PSZ in NRW haben wir vielfältige Erfahrungen, sowohl in Kommunen mit Gesundheitskarte, als auch in Kommunen, die weiterhin mit Behandlungsschein arbeiten. Die eGK führt zu Bürokratieabbau für alle Beteiligten und damit auch zu einem deutlich diskriminierungsärmeren Zugang zur Regelversorgung des Gesundheitssystems für geflüchtete Menschen. Wir fordern daher die flächendeckende Einführung der eGK in NRW. Die Landesregierung darf sich nicht hinter der kommunalen Selbstverwaltung wegducken und muss Rahmenbedingungen schaffen, die eine flächendeckende Umsetzung (wie in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Thüringen) ermöglicht.6
  3. Langfristige und auskömmliche Finanzierung Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer
    Bei den PSZ handelt es sich um eine jahrzehntelang etablierte und hochqualifizierte Struktur in NRW, welche die Versorgungslücke im Regelsystem bezüglich der medizinischen, psychologischen und psychotherapeutischen Behandlung geflüchteter Menschen und Opfern von Folter zu schließen versucht. Der Bedarf an dieser Versorgung steigt mit jedem Jahr – die Landesförderung jedoch nicht. Die Träger müssen enorme Eigenanteile generieren – bis zu 35% – und bis zu sechs Monate in Vorleistung gehen, bevor die Fördermittel bei ihnen eingehen. Umfassende Verwaltungskosten müssen ebenfalls von den Trägern erbracht werden und die Unsicherheit ist nach der Umstellung des Förderprogrammes Soziale Beratung in 2020 sehr hoch – sowohl mit Blick auf die Förderperspektiven als auch auf die öffentliche Ausschreibung der Stellen.
    Die aktuelle Situation macht zum wiederholten Male deutlich, wie unverzichtbar die schnelle und professionelle psychosoziale Versorgung geflüchteter Menschen ist. Wir fordern deshalb eine langfristige und auskömmliche Förderung der Psychosozialen Zentren in freier Trägerschaft in NRW – möglichst mit einer gesetzlichen Grundlage.
  4. Systematische Finanzierung von Sprachmittlung im Gesundheitswesen
    Wir fordern eine vereinfachte und bedarfsgerechte Finanzierung von Sprachmittlung in medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung aus öffentlicher Hand. Ohne eine entsprechende Sprachmittlung ist eine Behandlung nicht möglich. Die aktuelle Rechtslage bietet hohe bürokratische Hürden für Klient*innen und Behandler*Innen. Die Beantragung von Leistungen nach §§ 4 und 6 AsylblG; bzw. § 2 AsylblG i.V.m. § 73 SGB XII, hilfsweise § 27a Abs. 4 Nr. 2 SGB XII bei Sozialämtern ist ein extrem langwieriger und häufig erfolgloser Prozess, der weder von den Klient*innen noch von niedergelassenen Behandler*innen im Arbeitsalltag bewältigt werden kann. Es braucht eine unkomplizierte Lösung, Sprachmittlung im Gesundheitswesen zu finanzieren.

Die Bund-Länderkonferenz hat entschieden, dass Menschen aus der Ukraine, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 24 AufenthG sind, zukünftig Leistungen nach SGB II bzw. XII erhalten. Diese Entscheidung wird auch darauf zurückzuführen sein, dass das Asylbewerberleistungsgesetz zu einer systematischen Unterversorgung geflüchteter Menschen führt. Es ist aus unserer Sicht ein Schritt in die richtige Richtung – hin zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Ein entsprechendes Engagement auf Landes- und Bundesebene ist dringend notwendig.
Gerne stehen wir bei der inhaltlichen Ausgestaltung der zu entwickelnden Lösungsmöglichkeiten mit unserem umfassenden Erfahrungswissen zur Verfügung und freuen uns über ein entsprechendes Gesprächsangebot.

Mit freundlichen Grüßen
Das Netzwerk der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer

Forderungspapier als pdf

Ansprechpartner:

Claudia Schedlich Therapiezentrum für Menschen nach Folter und Flucht Köln claudia.schedlich@caritas-koeln.de

Das Netzwerk der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer www.psz-nrw.de

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1Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2022). Aktuelle Zahlen. Ausgabe September 2020. www.bamf.org
2Schröder, H., Zok, K., Faulbaum, F. (2018). Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland – Ergebnisse einer Befragung von Schutzsuchenden aus Syrien, Irak und Afghanistan. Wissenschaftliches Institut der AOK. //www.wido.de/fileadmin/Dateien/Doku-mente/Publikationen_Produkte/WIdOmonitor/wido_monitor_2018_1_gesundheit_ge-fluechtete.pdf
3Bozorgmehr, K., Mohsenpour, A., Saure, D., Stock, C., Loerbroks, A., Joos, S., & Schneider, C. (2016). Systematische Übersicht und „Mapping“ empirischer Studien des Gesund-heitszustands und der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland (1990–2014). Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 59, 599–620.
4Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013. https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri-Serv.do?uri=OJ:L:2013:180:0096:0116:DE:PDF
5Siehe hierzu: Felde, L. vom, Flory, L., Baron, J. (2020). Identifizierung besonderer Schutzbedürftigkeit am Beispiel von Personen mit Traumafolgestörungen. Status quo in den Bundesländern, Modelle und Herausforderungen. Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozia-len Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V (Hrsg.)
6Siehe hierzu: http://gesundheit-gefluechtete.info/gesundheitskarte/