Die Rückkehr der Folter

MFH macht chilenische Regierung für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich

Die Medizinische Flüchtlingshilfe (MFH) Bochum ist in hohem Maße besorgt über die aktuelle Menschenrechtslage in Chile. „Chile ist ein Land, mit dessen Menschenrechtsorganisationen wir seit jeher eng zusammenarbeiten“, erläutert Knut Rauchfuss, Vorstand der MFH. „Das geht zurück bis in die Zeit der Diktatur, als zahlreiche Menschen vor dem Pinochet-Regime fliehen mussten und setzte sich fort in der Zusammenarbeit im Kampf gegen die Straflosigkeit schwerer Menschenrechtsverletzungen. Nun ist erneut unsere Solidarität erforderlich“.

Ausgelöst durch die Sozialproteste, die vor knapp einer Woche begannen, hat der gewählte Präsident Piñera die demokratischen Grundfreiheiten in weiten Teilen des Landes außer Kraft gesetzt, den Ausnahmezustand ausgerufen und das Militär gegen die Opposition in Stellung gebracht. Seit vergangenem Samstag kontrollieren zum ersten Mal seit dem Ende der Militärdiktatur wieder Soldaten das öffentliche Leben des Landes, und sie gehen mit brutaler Härte gegen die Zivilbevölkerung vor.

„Uns liegen eindeutige Videobeweise vor, dass wieder auf offener Straße auf Menschen geschossen wird, sowie Zeugenaussagen über Folter“, erklärt Bianca Schmolze, Menschenrechtsreferentin der MFH. „Gefangene werden systematisch bedroht, geschlagen und gedemütigt, Frauen berichten über massive sexualisierte Gewalt.“

Nach den Protesten vom Sonntag waren mindestens 2.410 Personen nach Angaben des Nationalen Instituts für Menschenrechte INDH zwischen dem 17. und 23. Oktober verhaftet worden, darunter 274 Minderjährige. Einige sollen bis heute verschwunden sein. In den vergangenen Nächten wurden zudem v. a. jugendliche Aktivist*innen aus ihren Häusern verschleppt. Betroffene, die wieder freikamen, berichteten über unterschiedliche Formen der Folter. Acht Frauen erstatteten Anzeige, da sie gezwungen wurden sich nackt zu entkleiden, mit kaltem Wasser gefoltert und mit den Waffen der Soldaten vergewaltigt wurden. Durch staatliche Akteure wurden mindestens 376 Menschen verletzt, davon 173 Personen durch Schussverletzungen und mindestens 5 wurden ermordet. Seit gestern kursieren zudem ernstzunehmende Gerüchte über geheime Folterzentren in Santiagos stillgelegten U-Bahnstationen, auch wenn diese sich zumindest in der Station Baquedano so nicht bestätigen ließen sind sie nach Meinung der zuständigen Untersuchungsrichter dennoch ernstzunehmen.

„Das erinnert an die finsteren Zeiten der Pinochet Diktatur“, erinnert sich Rauchfuss. „Es ist jetzt unbedingt notwendig die staatlichen Verbrechen zur Anzeige zu bringen. Die chilenische und gegebenenfalls auch die internationale Justiz müssen die Verantwortlichen vor Gericht stellen. Dies gilt ebenfalls für den Präsidenten, der das Militär auf die Straße geschickt hat.“ Einige Anzeigen wurden erstattet, noch ist aber unklar, wie die Justiz damit umgehen wird. „Stattdessen werden Protestierende kriminalisiert und verfolgt“, ergänzt Schmolze. „Diese Menschen verteidigen aber ihre sozialen Menschenrechte, die im sogenannten ’Musterland des Neoliberalismus‘ seit Jahrzehnten mit Füßen getreten werden. Es ist gut, dass die chilenische Bevölkerung jetzt den Aufstand gegen den Ausverkauf gesellschaftlicher Verantwortung wagt, denn erst wenn der Neoliberalismus endlich fällt, ist das Erbe der Pinochet Diktatur und ihres Nachlassverwalters Piñera wirklich überwunden. Trotz der Versuche, die Proteste durch Repression zu ersticken, geben der Mut und die Entschlossenheit der chilenischen Bevölkerung Anlass zur Hoffnung“.

Die Medizinische Flüchtlingshilfe fordert:

  • den sofortigen Rückzug des chilenischen Militärs in die Kasernen
  • den Rücktritt der chilenischen Regierung
  • die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung
  • die strafrechtliche Verfolgung schwerer Menschenrechtverletzungen, die auch die politisch Verantwortlichen mit erfassen muss
  • eine klare Positionierung der Bundesregierung gegen den Ausnahmezustand und die staatlichen Verbrechen, die im Zuge dessen begangen werden
  • ein Ende der systematischen Verletzung sozialer Menschenrechte